Montag, 26. Mai 2014

Berufsbildung in der Schweiz – Gedanken zu Kapitel 4

Als charakteristisches Merkmal des handwerklich-zünftische Lehrverhältnisses war das Lernen ein unmittelbarer Bestandteil der alltäglichen Arbeit und Produktion. Es dominierte das Prinzip des Vor- und Nachmachens (imitatio). Der Lehrprozess war wenig formalisiert. Der Lehrling/ die Lehrtochter partizipierte an der Erfahrung und der über die Arbeitstätigkeit hinausgehende betriebs- und berufsspezifischen Kenntnisse und Fertigkeiten des Lehrmeisters. Es erfolgte eine Sozialisation in die Gebräuche und Lebensweise des beruflichen Umfeldes.
Der Berufslernende ist der Lehrling, seinen Abschluss zum Gesellen macht er mit der Gesellenprüfung. Mit dem Gesellenbrief wurde er in den Beruf aufgenommen. Nach einer mehrjährigen Wanderschaft, gefolgt von einer Prüfung vor versammelter Zunft – je nach Beruf mit Meisterstück – konnte man den Meistertitel erwerben, der zum Führen eines eigenen Betriebes und der Ausbildung von Lehrlingen berechtigte.
Der Grundstein für die Entwicklung beruflicher Bildungsinstitutionen wurde mit dem Bundesbeschluss von 1884 zu Subventionierung beruflicher Bildungsinstitutionen gelegt. Jedoch erst 1930 wurde die Berufsbildung auf eidgenössischer Ebene per Gesetz geregelt. Dies schrieb für industriell-gewerbliche, handwerkliche und kaufmännische Berufe einen gültigen Lehrvertrag vor und machte den Lehrabschluss zwingend von dem Besuch einer Berufsschule abhängig. Das Gesetz trat am 1. Januar 1933 in Kraft und wurde bis dato dreimal revidiert.
Die Landes- und Weltausstellung begünstigten die Entwicklung der Berufsbildung in der Schweiz. So waren die Landesausstellungen eine Gelegenheit sich nicht alleine über gewerbliche und industrielle Exponate, sondern auch über den Stand des Bildungswesens einen Überblick zu verschaffen. Die Wiener Weltausstellung 1873 wies der Bildung auf internationaler Ebene erstmals einen prominenten Platz zu. So wurde in weiterer Folge  für die Weltausstellung in Chicago 1893 eine informative Broschüre zum schweizerischen Schulwesen veröffentlicht. Die Weltausstellungen transportierten die zentrale Botschaft, dass gute Schulen und eine harmonische Bildung für wirtschaftliches Fortkommen und gesellschaftliches Wohlergehen unerlässlich sind.
Die Frage, inwiefern der war Handfertigkeitsunterricht für die Berufsbildung relevant war, kann damit beantwortet werden, dass die Arbeit mit den Händen im Primarunterricht auf das werktätige Leben vorbereiten sollte. Man erhoffte sich auch so einen Teil der betrieblichen Lehre durch diesen Unterricht ersetzen zu können. Kinder sollten an den Gebrauch von Werkzeugen gewöhnt werden, ihr Augenmass und die Sicherheit der Hand entwickeln.
Die eidgenössisch geregelte Berufsbildung entstand neben den kantonalen Schulhoheiten, da die Kantone laut einer vorparlamentarischen Expertenkommission, Mitte der 1920er Jahre, nicht in der Lage seien, in gleicher Weise berufliche Qualifikationen zu bestimmen und zu vereinheitlichen. Daher wurde diese Aufgabe der Koordination und der Steuerung dem Bund übertragen. Die Etablierung eines beruflichen Bildungswesens, dass neben den Kantonen neu auch dem Bund und den Berufsverbänden sowie den Sozialpartnern eine gestaltende Rolle zugestand, erwies sich als äusserst konsensfähig, angesichts der wirtschaftlichen Erfordernisse, kantonsübergreifend die Qualität der Berufsbildung zu erhöhen, um international konkurrenzfähig zu bleiben.
Diese und weitere Fragen zum Buch (samt Antworten) finden sich hier.


Literatur: Emil Wettstein, Philipp Gonon (2009): Berufsbildung in der Schweiz (Kapitel 4, S.67-86). Hep-verlag, Bern
 

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